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Fotokiller – Eerie Nostalgia – Rattster Staffel 2 #4

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Fotokiller- Eerie Nostalgia 2025 - Titelbild, es ist ein abstraktes Design in lila, rosa, türkis und schwarz zu sehen. Oben steht in heller Schrift Fotokiller, darunter in pink Eerie Nostalgia

Hamster und Ratte hören gerne Platte!

Hier ist die nächste Folge Rattster Review Story.  Diese widme ich feierlich meiner Nichte, meiner Cousine, meinem Cousin, meinem Bruder und allen anderen, die am gleichen Tag Geburtstag haben.

Für Quereinsteigende: Was bisher geschah, liest du nach in unserer Spezial-Rubrik Rattster Review Story (Staffel 1, Folge 1-8 und Staffel 2, Folge 1-3). Es ist ausserdem eine Printausgabe der ersten Rattster-Staffel in Arbeit, die bis Pflaumenpfingsten oder Weihnachten fertig wird.

Diese Folge wird mit einem Soundtrack von Fotokiller untermalt, postpunkiger Alternative aus Berlin,  vom neuaufgelegten Album „Eerie Nostalgia“, erschienen bei It’s Eleven Records

Natürlich soll es auch wieder was für’s Auge geben in dieser Fortsetzungsgeschichte. Musik, Text und Graphik, so soll es sein. Die geniale Illustration hat Wiete, die Drummerin von Banana of Death, gemacht. Thanx!

Und wie die Tradition es will: Hamster hat wieder ihren Songzitat-Spleen. Findest du das versteckte Lyricszitat irgendwo in Hamsters direkter Rede? Die Lösung steht wie immer am Ende der Story.

Viel Spaß beim Lesen!

Rattster Graffiti Titel Schrift Artwork by T10

Sie fuhr wie ein Rowdy. Opi, das greise Opossum mit dem schütteren Vokuhila und der blauen Latzhose, lenkte schwerhörig, halbblind und starrsinnig ihren gelben Schulbus voller Kuriositäten. Hamster und Ratte wünschten sich sehnlichst ein Ende der Irrfahrt herbei. Opi hatte behauptet, sie wisse wo ihre gestohlene Plattensammlung zu finden war. Stattdessen hatten sie bloß erfolglos Opis Lieblings-Plattenläden abgeklappert. Immerhin hatte Ratte im letzten Plattengeschäft endlich die „Eerie Nostalgia“  von Fotokiller  mitgehen lassen. Diese LP wollte er schon seit 2023 haben, aber sie war vergriffen. Die 12″ Reissue von 2025 war mit neuer, abstrakter Coverart von Druckwelle Design bei It´s Eleven Records erschienen und dröhnte nun aus den Boxen der Soundmaschine. Die glänzende schwarze Vinyl drehte auf dem Teller, der fliessende Postpunk-Klangteppich gab eine entspannte Kulisse, ohne deren beruhigende Wirkung es sicher längst Streit gegeben hätte. Gitarristin Sofy begleitete sie mit beinahe verschwindender Stimme über die Landstraßen, packte sie watteweich in melancholischen Wave-Sound.

„Ich habe eben ein Plakat gesehen, da stand riesengroß FOTOKILLER  drauf.“ Rief Ratte, schlagartig zu Enthusiasmus erwacht. „Ich weiß, wo wir sind!“, rief Hamster freudig. Sie erkannte die Gegend um Hofrattes Kellerkneipe an den maroden Gründerzeithäusern der Großstadt.

„Wir fahren zu Hofrattes Strassenfest mit Kundgebung und Fotokiller Konzert, Kinders,“ erklärte Rattes Stief-Oma, das Opossum. Ratte und Hamster schauten sich begeistert an.

Kurz darauf hielt Opi mit quietschenden Reifen vor Hofrattes Kellerkneipe. Erinnerungen kamen in ihr hoch und Opi wurde wohlig warm ums Herz. Es begann zu klopfen, ihr Bauch kribbelte nervös! Hier hatte sie Opa kennengelernt. Im Gebälk lebte er damals als alleinerziehender Jungvater mit seiner Brut. Ein cooler Typ mit 27 Kindern aus drei Würfen, hatte die fetteste Plattensammlung, kannte jede neue Release. Hach, wilde Zeiten als Dreiergespann mit ihr, Opa und Hofratte. Sie stöhnte elektrisiert, heiß war es her gegangen, denn in ihrer Kommune waren die Grenzen fließend und wer-mit-wem nicht fest. Na gut…bald blickte niemand mehr durch, aber es war die wildeste Sex-Zeit ihres Lebens! Sie war superjung, trug eine lila Latzhose, spielte Banjo im Park und hatte die Beuteltasche voll Weed. Von draußen erreichte ein eindringliches Gitarrensolo ihre Ohren, die treibenden Drums versetzten sie in Schwingungen. Fotokiller spielten bereits, transplantierten alle Leidenschaft durch einen Song in ihren betagten Körper, so heftig, als müsse sie tot umfallen.

Nobody knows secret lovers
Your love, love is like a gunshot
Your love, love is like a gunshot
Hitting me so hard I'm gonna die
(Übersetzung: Niemand erkennet heimliche Liebhaber, Deine Liebe, Liebe ist wie ein Schuss, Deine Liebe, Liebe ist wie ein Schuss, trifft mich so hart, dass ich sterben muss)
Lovers Undercover, B-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller 

„Uhhhh, wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment…“ wiederholte Opi ihr damaliges Motto, als die Gesellschaft für freie Liebe nicht bereit gewesen war. Schon gar nicht für einen alleinerziehenden Hausrattenvater und seine uneheliche Patchworkfamilie mit einer nordamerikanischen Beutelratte. Konventionen – Pfff! Wieso allerdings manche ihrer Kiddos, vor allem Rattes Papa, später erzkonservativ werden konnten, war ihr ein Rätsel – Opi seufzte. „Los jetzt!“, unterbrach Ratte sie ungeduldig, als er und Hamster unternehmungslustig vom Bus hopsten.

Aus der Einfahrt zum Hinterhof drang Stimmengewirr, Gläserklirren und laute Live-Musik von Fotokiller, die auf einer kleinen selbstgezimmerten Bühne spielten.

Kleine Rauchschwaden zogen ebenfalls aus dem Hof und breiteten sich auf der Straße aus. Dort patrouillierten sichtlich angespannt zwei Schäferhunde. Schwarze Geschirre mit der Aufschrift „Security“ kennzeichneten sie als selbsternannten Wachschutz. Sie hatten sich ungefragt zur Party eingeladen.

Auf der Straße hatten sich Tiere mit bunten Protestschildern versammelt. Mitten in dem Trubel thronte Hofrattes aufrechte Gestalt auf dem Bordstein im Ohrensessel. Daran lehnte ein gepinseltes Papp-Schild mit der Aufschrift: STOP THE WORLD.

Sie trug ein opulentes DIY Outfit und rauchte parfümierte Beedies mit langer Zigarettenspitze, wie eine Königin. „Hofratte!“, rief Opi unglaublich aufgeregt. Hofratte sprang aus dem Sessel, die beiden umarmten sich überschwänglich und ihre sonore Bassstimme erklang: „Oppy, Darling! Long time no see.“ Was für ein Wiedersehen! Dann fingen die beiden alten Ladies an, sich glücklich abzuküssen. In diesem Augenblick legten Fotokiller auf der Bühne los mit ihrem Lied „Control“. Der Klang drang aus dem Hinterhof nach draußen, laut und klar. Er war so beschwingt und gleichzeitig so zartschmelzend wie ein Traum. Fast vergassen das Opossum und die Ratte zu atmen, als sie sich gegenseitig an den Händen fasten, im Kreis tänzelten und der Beat des Schlagzeugs sie davontrug. Glanz stand in ihren alten Augen, es verschlug ihnen den Atem, dabei lächelten sie schief von einem Ohr zum anderen auf der Tanzfläche vor dem Haus mit der bröckeligen Fassade.

One moment she forgot to breathe
Control, no control
Control, no control 
Losing control with pleasure
(Übersetzung: Einen Moment vergass sie zu atmen, Kontrolle, keine Kontrolle, keine Kontrolle, Verlust mit Genuss)
Control - A- Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

Sie tanzten miteinander so eng umschlungen, so wahr alte Liebe niemals rostet. Ihr sprühendes Feuer war ansteckend, Tiere schwenkten ihre Protestschilder im Takt, warfen sie fort und fasten sich bei den Pfoten, bildeten mal Kreise auf der Straße, tanzten mal für sich allein. Der Stil war ein relaxter, mehr ein rhythmisches Räkeln, tief in den Knien, mit einer schwungvollen Bewegung, zu dem Fotokiller sie animierte. Die beiden Schäferhunde spitzten verwundert ihre Ohren und bleckten die Zähne.

Hamster kletterte auf eine Laterne und wippte im Takt. Ratte fand beim Herumtanzen eine Bierflasche, die mit einem Lappen verschlossen war. Schnell entfernte er den seltsamen Lappenverschluss von der Bierflasche und schnupperte daran. Ein beissender Geruch von Öl und Benzin stach ihm in die Nase. „Schwächeln zählt nicht“, sprach er und mit fake-fröhlichem Gesicht rief er laut zu den Tanzenden: „Prost!“ Dann setzte er die Pulle an und nahm mutig einen kräftigen Schluck. „Yeah, das burnt“, in Wahrheit war ihm speiübel. „Wie kann man sich jeden Dreck reinziehen?“, kritisierte Hamster von oben. Doch Ratte zuckte die Schultern und nahm wider besseren Wissens einen weiteren Schluck, sein Magen brannte höllisch. „Brrr!“, schüttelte er sich und verstopfte die Pulle mit dem Lappen, der sich jetzt gefährlich wie ein Docht vollsaugte mit dem Inhalt der Flasche. Verdunstendes Benzin aus dem Stoffknäuel schwängerte die Luft.

Die Benzinausdünstungen stiegen ihnen in die Nase. Sie ahnten nicht, dass Treibstoffdämpfe die Hirnchemie von Nagern durcheinander bringen. Das bedeutet Serotoninabfall, verringerte aggressionsdämpfende Wirkung. Bei Ratte wissenschaftlich erwiesen,  bei Hamster gab’s den sofortigen Beweis auch ohne Wissenschaft: Aggro begann sie, zur Musik von Fotokiller auf der Strassenlampe herumzuspringen und lauthals mitzugrölen, während ihr Nackenfell sich zur Bürste aufstellte. 

Der Rhythmus kaperte ihre Stimmung. Wofür oder wogegen, vollkommen egal, sie musste auf der Straße alles rauslassen! Die Musik von Fotokiller wurde jetzt eindringlicher, fordernder und düsterer. Fast erschienen die Drums wie Marschtrommeln, dachte Ratte. Der Tanzstil der Menge hatte plötzlich ebenfalls etwas unterschwellig aggressives an sich, mehr und mehr wurde es Rangelei. Der Gesang passte sich Fotokillers Screaming an und wich lauten Rufen. Knurrend und zähnefletschend brachten sich die Sicherheitshunde warnend in Habacht-Stellung.

They are marching down the streets
Anger in their voices
Revolution in their eyes
They are marching down the streets
(Übersetzt: Sie marschieren durch die Strassen, Wut in ihren Stimmen, Revolution in ihren stimmen, Revolution in ihren Augen, sie marschieren durch die Strassen)
Confidence Killed, A-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

Hamster schwang sich vom Laternenmast hinab in den Tanzmob. Auch Ratte spürte das gestörte Serotonin- und Dopamingleichgewicht seine Hirnregion im Sturm übernehmen. Grimmig trank er einen weiteren ekligen Schluck aus der Pulle, wischte sich das Maul mit dem Ärmel seines grünen Mantels ab und drückte Hamster den Heizöl-Benzin-Cocktail in die Pfoten: „Halt mal mein Bier!“ Dann grabschte er sich mit beiden Pfoten Hofrattes Protestschild.

 

Hamster und Ratte mit STOP THE WORLD Schild und Mollowtow Cocktail vor einer Demo, die im Hintergrund schemenhaft zu sehen ist.
Fotokiller – Eerie Nostalgia – Artwork by © Wiete

Da war sie plötzlich, die unbekannte Wut. „STOP THE WORLD!“, fuchtelte er laut brüllend mit dem Protestschild. Eigentlich war Ratte im Gegensatz zu Hamster total phlegmatisch, fraß den schmerzhaften Verlust ihrer Plattensammlung in sich hinein. „STOP THE WORLD!“, schrie er besessen. Selten hatte er groß zurückgeschlagen, wenn die Welt brutal zu ihm war und seine Zurückhaltung reine Opfermentalität geschimpft wurde. „STOP THE WORLD!“, bahnte sich aufgestauter Zorn den Weg aus seinem Maul. Bestialische Killerkatzen hatten ihn damals bestohlen und fast getötet, warum hatte er sich nicht richtig gewehrt? „STOP THE WORLD!“, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen, sein Puls begann zu hämmern. Dieser Hass, den er nie gekannt hatte, jetzt war er da und wollte raus! Es war eine Offenbarung, als er Hamster ansah und plötzlich mit ihren Augen sehen konnte, fähig ihre Angriffslust nachzuvollziehen.

Er nahm ihre Pfoten, schaute ihr in die Augen mit einem irren Blick und flüsterte: „STOP THE WORLD!“ Livemusik drang an ihre Ohren, mit mehrstimmigem Gesang und luftigem Gitarrenspiel zwang Fotokiller jetzt mit monochromem Klang die Welt um Ratte und Hamster zur Pause.

I See your face as the world falls to pieces 
You ask me how much time is left
And then it’s quiet so quiet
(Übersetzt: Ich sehe dein Gesicht, während die Welt zerbricht, Du fragst mich, wie viel Zeit noch bleibt, und dann ist es still, so still)

Es gab nur sie beide, zweisam weggetragen von der Musik auf eine intime Ebene, waren sie sich plötzlich unsagbar nah. So nah wie nie. Sie rückten noch näher zusammen, standen Nase an Nase. Dann ging alles ganz schnell. Es war Hofratte, die sich eben mit Hamsters Streichhölzern eine neue Beedie anzündete. Beim Tanzen streifte sie versehentlich den benzingetränkten Lappen. Zosch! Es brannte der Docht lichterloh, es frass sich das Feuer daran langsam in die Flasche hinein, glühende Hitze entwickelte sich. Hamster starrte die Brandbombe in ihrer Pfote an, blanke Panik loderte in ihren Pupillen auf, sie war unfähig zu reagieren, innerlich noch viel zu weit weg. Plötzlich entriss ihr jemand den Brandsatz, rannte ein Stück damit und schleuderte ihn von sich, soweit es mit seinen mageren Armen nur möglich war. Es war Ratte! Ungeahnt aggressiv, voller Tatkraft, die Rettung in letzter Sekunde. Die brennende Buddel zerschellte in einer Explosion auf der Straße, eine Stichflamme verzunderte heiss und giftig beißend den Asphalt. Hamster schnappte überwältigt nach Luft. „Stop the World“ von Fotokiller schallte laut zu ihnen herüber. Gerettet! Verwischt drangen die Lyrics in ihre Köpfe, fanden sie wieder zu ihrer innigen Ebene zurück. Halt die Welt an! Nase an Nase, Auge in Auge, wagten sie kaum zu atmen und rückten näher, näher… 

There’s a fire in your eyes
Which is reflected in mine
Let’s pretend we’re fine
Stop the World
Stop the World
(Übersetzt: Da ist ein Feuer in deinen Augen, das sich in meinen spiegelt, lass uns so tun, als ob es uns gut geht, halt die Welt an)
Stop the world, A-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

Ein fürchterliches Gebell erscholl, zerriss die Zweisamkeit des Augenblicks. Im nächsten Moment zerrten sie Ratte an scharfen Zähnen mit sich fort, drückten ihn grob zu Boden und rissen das „Stop the World“- Schild in Fetzen. Die Flasche war direkt vor den Schäferhunden zersplittert, alarmiert waren sie auf den Brandstifter losgehetzt, fassten ihn. All seine Benzin-Wut nützte Ratte nichts, denn natürlich waren sie größer, stärker sowie bestens trainiert. 

„Verhaftet!“, der eine Wachhund presste Ratte mit hartem Nackenbiss nieder. „Platz räumen!“, kläffte der Zweite befehlend, als Tiere die gräßliche Szene mit dem Handy filmen wollten. „Aua!“, wimmerte Ratte schmerzverzerrt, ihm wurde kalt trotz des Straßenfeuers, sein Kreislauf. „Verstärkung!“, rief einer ins Walkie-Talkie, von zwei Seiten zerrten sie mit starken Kiefern am unterlegenen Ratte. Seine Kräfte schwanden, er blutete, war zu schwach für hoffnungslose Gegenwehr.

Der Protest der Umstehenden blieb gedrückt. Angst stand in den Gesichtern, denn niemand wusste, wohin die Verhafteten gebracht wurden. „Besser die Pfoten still halten“, raunte es.

„Stop!“, erklang plötzlich Hofrattes Bassstimme wie ein tiefer Gong und löste Hamsters Erstarrung. 

Als würde es etwas bringen, brüllte Hamster in Richtung der gefährlichen Schäferhunde: „Aus!“ Dann schnellte sie wie eine lebendige Bowlingkugel nach vorne und rammte den ersten Zerberus mit voller Wucht. Dieser taumelte überrascht, drehte sich zu Hamster herum und knurrte bösartig. Hamster hielt bohrend seinem Blick stand, der mächtige Köter winselte jämmerlich auf. „Ha!“, konterte Hamster und sprang in die Hamusuta Dachi Kampfstellung. Der Hund jaulte laut auf. Doch nicht wegen Hamster, es stank nun entsetzlich nach verbranntem Pelz. 

Erste Flammen prasselten schon aus seinem Fell. Vom Zusammenstoß war der Hund zu nah an den offenen Brandherd geraten und entflammt. Wie ein Feuerkünstler vollführte er akrobatische Verrenkungen, um zu entkommen. Warmer Schein legte sich auf die Gesichter der staunenden Menge, der es ein „Oh!“ und „Ah!“ entrang. Wunderkerzen-Funken knisterten durch die Luft und entfachten sich im Fell des zweiten Schäferhundes zu weiterem Lichterglanz, sengten sich in Rattes grünen Wollmantel als kleine verglimmende Sterne. Schmerzgepeinigt ließen die Höllenhunde von ihm ab, um als brennende Blitze dazujagen zum nahegelegenen Kanal. Es war vorbei, Ratte war frei. Lethargisch blieb er am Boden liegen, verflogen waren Wut und Mut. Nur die schwarzen Brandlöcher im grünen Wollfilz seines muffigen Mantels zeugten von der grausigen Begegnung. Aus der Ferne war vielstimmiges Bellen zu vernehmen, das schnell lauter wurde. Die angeforderte Verstärkung rückte im Rudel herbei!

Eine graue Opossum-Pfote zupfte an Rattes Ärmel. „Euch kann ich aber auch keine Minute aus den Augen lassen,“ erklärte Opi mit wichtigtuerischer Mine. „Ist ja gut“, sagte Ratte, er hatte genug vom Strassenfest, noch eine Begegnung mit dem Sicherheitsdienst brauchte er heute nicht. Er trottete mit hängendem Kopf Richtung Bus, Hamster und Opi folgte ihm.

„Schaut mal, was ich habe, Kinders“, die Beutelratte wedelte versöhnlich mit mehreren quadratischen Gegenständen. Aus der Brusttasche ihrer blauen Arbeitslatzhose hatte sie einen Stapel LPs gezaubert. „Die habe ich eben am LP-Stand zwei garstigen Katern abgeluchst.“

„Oh wow“, rief Hamster jubelnd, mit Platten war sie leicht abzulenken und überhörte Opis zweiten Satz.

„Wir fahren jetzt ab, bevor Ratte noch mehr Ärger kriegt,“ erklärte Opi mit fester Stimme. Dann fügte sie erzieherisch hinzu: „Ratte, du musst dringend dein Alkohol-Problem angehen.“

Er hatte kein Problem! – war Rattes klare Haltung dazu. Doch auf Protest hatte er heute keinen Bock mehr. Lieber dachte er heimlich daran, seine nervige Stief-Oma so schnell wie möglich zu verlassen. Die gealterte Beutelratte lenkte den Bus, während die Strasse unter ihnen entlang rollte und sie sich in sichere Entfernung zu den scharfen Hunden brachten. Ratte schaute gedankenverloren aus dem Fenster, Hamster unterdessen wollte die neuen Platten auflegen.

Plötzlich gellte ein spitzer Schrei durch den Bus. „Aaaargh, das sind unsere Platten!“ Hamster redete fassungslos weiter: „Alle LP’s sind von uns, erkenne ich sofort an den Macken und Autogrammen. Demenz, oder was, ey! Unsere Sammlung ist beim Strassenfest und die binsenschlaue Greisin checkt es nicht.“ 

Ratte war sprachlos. Er konnte einfach nichts sagen, so entsetzlich überwältigt war er von dieser Nachricht. So unglaublich klang sie, dass er fürchtete, nur ein einziges Wort würde alles zerstören. Ihm wurde schwindelig, wütend wie Hamster wurde er heute nicht mehr auf Opi. Seit einer Ewigkeit versuchten sie nun, die Plattensammlung wiederzubekommen, er hatte die Hoffnung fast verloren. Und nun sollte es so einfach sein? Tränen stiegen in ihm auf, sein Hals wurde eng. Hamster knuffte Ratte in die Seite: „Hey, was ist los mit dir?“ 

„Wir brauchen bloß umdrehen“, entwich es Ratte langsam, „wir sind am Ziel, unsere Suche hat ein Ende.“ Er starrte ins Leere, als hätte er einen Geist gesehen.

Hamster winkte mit der Pfote vor Ratte’s glasigen Augen: „Hey, freu dich, unsere Plattensammlung ist aufgetaucht und wir fahren…“, Da gab es einen Ruck, der Bus bremste extrem krass, trudelte sogleich wieder mit einem Sprung nach vorne und rasierte den Seitenstreifen. Die Busfahrerin hing laut quatschend am Handy, über Ratte im Regal wackelten die Kaffeetassen. Ein Kaffepott taumelte an die Kante, er trug die Aufschrift „Ich bin nicht Schuld“. Elliptisch kreiselte er erst schwerfällig um den eigenen Schwerpunkt, dann stürzte er ab, direkt auf Ratte’s Schädel. Schmerz traf ihn, Teile eines Fotokiller Songs waberten durch seine Gedanken, der so niederschmetternd düster, so melancholisch und herabziehend war, wie kein anderer auf „Eerie Nostalgia“. Er empfand einfach keine Emotion mehr – dumpf, dumpf, dumpf.

Everything’s ok, you say
These doubts drag me down
Jaded in the city
Jaded in so many ways
I can’t help myself
(Übersetzt: Alles ist in Ordnung, sagst du, diese Zweifel ziehen mich runter, abgestumpft in der Stadt, abgestumpft in so vielen Hinsichten, ich kann mir nicht helfen)
Jaded, B-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

Er schniefte jetzt voll Selbstmitleid, die wachsende Beule gab ihm den Rest. Und ja, die Plattensammlung war wieder da, er hatte es ja begriffen! Aber er konnte sich einfach nicht freuen. Was, wenn sie dort niemals oder nicht rechtzeitig anlangten mit Opi am Steuer? Was, wenn sie zwar den Plattenstand erreichten, ihre Vinylsammlung aber total kaputt war? Was, wenn das Meiste davon fehlte? Was, wenn es einfach nicht mehr dieselbe Sammlung war, die er kannte? Was, wenn… Sein Inneres zog sich zusammen, ihm war nicht wohl, die Beule auf seinem Kopf wuchs und wuchs aus seinem Pelz heraus in blendendem Rot.

„Mir ist Elend“, murmelte er. Mit diesen letzten Worten kroch er unter die Lumpen seines Schlafplatzes, ganz hinten im ausgebauten Bus. Er wusste nicht, ob er lieber eine perfekte Plattensammlung für immer vermissen wollte oder ein ramponiertes Konglomerat sein Eigen nennen sollte. Das Rumpeln der Räder über Fahrbahnschäden, das Schunkeln von Opis ungeschickten Lenkkünsten, die stotternden Fahrgeräusche des Oldtimer-Busses, all das befeuerte sein Dramatisieren. Zutiefst erschöpft vom Tag fiel er in einen traumlosen Fluchtschlaf.

Hamster indessen schaute nachdenklich in die bergige Sonnenuntergangslandschaft, die in goldgetöntem Maigrün vorüberschwebte. Der verwischende Sound von Fotokiller passte perfekt dazu, bald würden sie all ihre Lieblingsplatten zurückbekommen.

Ihr Blick fiel auf die Geschwindigkeitsanzeige in Opis Cockpit. 90 zeigte die analoge Tachonadel, draußen glitt ein Verkehrsschild mit einer schwarzen 100 vorbei. Der Bus schlingerte böse an Baustellenbarken entlang, denn Opi schmierte sich genüsslich ein Butterbrot auf dem Lenkrad. Es blitzte rot, Radarkontrolle! „Wieso wurdest du geblitzt, wenn du doch gar nicht zu schnell fährst?“, fragte Hamster verwundert. „Die Tachonadel ist seit Jahren Kaputt, Schätzchen, ich fahre nach Gefühl,“ war die Antwort.

Eine Sirene entfachte hinter ihnen Kriegsgeheul, blaue Lichter zündeten im Rückspiegel. „Die wollen mich oft stoppen, aber ich finde das keine sehr gute Idee,“ sagte die alte Beutelratte gelassen. Dann trat sie in aller Seelenruhe das Gaspedal durch, bretterte in die Ausfahrt für Baustellenfahrzeuge zwischen den Barken durch und heizte mit dem klapprigen Bus über die Schotterpiste. Rasant vergrößerte sich ihre Entfernung zur Plattensammlung.

„Was ist das eigentlich für ein Scheisstag,“ dachte Hamster, mehr konnte sie im Moment wohl nicht tun.

Eine Staubwolke hüllte den alten gelben Bus ein. Immer schneller ging die Fahrt bergab über die Rohbaustrecke in Richtung Autobahnbrücke. Die Hochbrücke spannte sich breit über einen Fluss tief unten im Tal. Wütend schnappte jetzt die Sirene nach ihnen. „Halt mal mein Brot“, sagte Opi knapp und warf es Hamster zu. Dann richtete das Opossum die vom grauen Star getrübten Augen angestrengt nach vorne und Hamster erkannte dem Blick folgend, worauf sie zusteuerten. Auf nichts! Auf ihrer Straßenseite fehlte die komplette Brücke.

Neben ihnen blitzte das Blaulicht auf, ein schwarzer Riesenschnauzer mit goldverspiegelter Pilotenbrille und getrimmtem Schnauzbart fletschte grimmig die Zähne, aus dem Funkgerät quäkte es: „….fehlende Betriebserlaubnis…Fahrzeughalterin…Frau Didelphis Virginia….“ Didelphis Virginia, das war des Opossums bürgerlicher Name. Dem schwarzen Hund prangte eine protzige goldene Panzerkette am Hals, mit nur einer Pfote kurbelte er lässig am Lenkrad, der Fahrtwind zerzauste sexy seinen Bart, wie er im Rückspiegel zufrieden feststellte. Mit der zweiten Pfote jonglierte er obercool seine Dienstwaffe. BÄMM!!! Plötzlich löste sich daraus ein ungewollter Schuss.

Es hallte in Hamsters Ohren, Scherben splitterten, der Querschläger trat durchs Fenster in den Fahrzeughimmel des alten Busses. Hamster spürte, wie sie wütend wurde. Erst diese sture Beutelratte, jetzt der dilettantische Oberlippenbart. „Sorry“ krächzte Opi unbekümmert, „bin unbeeindruckt, der hat das Schiessen echt nicht drauf.“ Der nächste Schuss krachte. Treffer! Das Opossum krümmte sich zusammen, seine schwarzen Ohren drehten sich ungläubig über dem weißen Haupt, dann sah es die blutende Wunde an seiner Schulter klaffen. „Blut, Blut“, hauchte es ersterbend und winselte ein „Gefahr“ hinterher. Endlich hatte Opi den Ernst der Lage kapiert. Zu spät, vornüber kippte das Beuteltier auf’s Lenkrad und blieb leblos darauf liegen. Dröhnend erscholl die Hupe, ergoss sich in den basslastigen Sound von „Dead End“, dessen Bassline wie ein dauerhaft repetierter Abdruck in Hamsters Innerem auftauchte. Sie glaubte dazu den geisterhaften Gesang zu hören, der sie in jenen Todes-Schlund begleiten sollte, auf den der Bus zuschoss.

This is a dead end, you said
This is a dead end
Once we took the wrong turn
We could never go back
(Übersetzt: Das ist eine Sackgasse, hast du gesagt, das ist eine Sackgasse, sobald wir falsch abgebogen waren, konnten wir nie wieder umkehren)
Dead End, B-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

„Bitte stirb nicht, das war nur ein Streifschuss, bleib bei uns“, bettelte Hamster das reglose Opossum an. Doch Opi war tot. Ihr klobiger Körper blockierte die Steuerung des Busses, die schuppigen Hinterpfoten traten weiterhin das Gaspedal, der gelbe Bus raste ungebremst in den Abgrund. Egal wie Hamster sich auch abmühte in die Mörder-Fahrt einzugreifen, es war vergeblich. Hamster begann laut zu beten: „Virginia, mountain mama, take me home, country roads.“  Jetzt war das Strassenende erreicht, es war aus! 

Doch etwas seltsames geschah, es war ihr fast, als würde das Fahrzeug zum Leben erwachen. Mutig nahm es Anlauf, dann setzte der große Gelbe vom Ende der Schotterpiste ab, wie ein Albatros. Majestätisch flog er los. Lautlos und stolz schwebte das Vehikel durch die Lüfte, nur die Tassen klapperten leise im Schrank. Fast war es schön, so hoch droben über das dunkel glitzernde Gewässer dahinzuschweben, während das Bellen des Schnauzers hinter ihnen verblasste. Dann stürzte der Bus ab, wie ein Stein ging’s in die Tiefe. Bus bleibt Bus, oder?

Weisser Schaum spritzte an den Fenstern empor, als der Bus sich beinahe überschlug und schlussendlich wagerecht zur Wasseroberfläche aufklatschte. Bis zum unteren Rand der Fenster tauchte er ins Nass ein, dann drückte ihn der Auftrieb wieder aus den aufgewühlten Fluten empor. Wie durch ein Wunder hielt der Oldschool-Bus sich schwimmend auf den Wellen und trieb Stromabwärts. Ein ruhiger, sicherer Kahn. Nur Hamster war Zeugin dieser wundersamen Landung geworden. Wer sollte ihr das jemals glauben?

Aus dem Fond war jetzt ein Grummeln zu vernehmen. Ratte schaufelte sich frei und torkelte schlaftrunken nach vorne. Er hatte sich inzwischen deutlich beruhigt. „Wann sind wir da und holen die Plattensammlung ab?,“ fragte er. „Das wird nichts mehr, es ist etwas schreckliches passiert,“ erwiderte Hamster beklommen, „Opi ist tot.“ „Waaas!?“, geschockt rieb er sich die Augen, als er obendrein das Meer ringsum sah. Diese Hiobsbotschaft hatte gesessen, in Rattes Augen stand Verlustschmerz zu lesen. Wie sehr er Opi verflucht hatte, so sehr bereute er es nun zutiefst. 

Traurig trat er an Opi heran und stupste sie mit der Pfote an. „Moment mal“, sagte er und inspizierte seine steife Stief-Oma kritisch, dann lachte er. Entgeistert starrte Hamster ihn an. „Ach, diese Spinnerin, das macht die immer°, winkte Ratte ab. „Wie, sie tut nur so?“, fragte Hamster ungläubig. Ratte nickte: „Jep, Opossums stellen sich bei Gefahr tot. Ungefähr so: Hilfe, hilfe – plop – tot!“ Hamster merkte zweifelnd an: „Aber die Gefahr ist doch längst vorbei…“ Ratte holte seine Taschenflasche aus dem Mantel: „Das kann Stunden andauern, am besten wir machen uns einen Drink, um die Wartezeit zu überbrücken.“ Hamster zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete Opi. Sie war sich keineswegs bei Rattes Diagnose sicher, zu echt wirkte die Szenerie. Das Opossum verharrte standhaft in seiner Totenstarre und lies bei halb geöffnetem Maul demonstrativ die Zunge heraushängen.

Leise schipperte der schwimmende Schulbus flussabwärts, Ratte genoss ungestört seinen alkoholischen Schluck. In der Ferne sahen sie die Lichter einer nahenden Stadt funkeln und über sich die Sterne.

I started to swim
Never seen again
I dive into the sparkling blue
The surf carries me deep inside
Into the blue, into the blue
The darkest thoughts seem now the brightest
They appear in thousands of colors
I drift away
(Übersetzt: Ich begann zu schwimmen, wurde niemals mehr gesehen, i tauche in das glitzernde Blau, die Brandung trägt mich tief hinein, ins Blau, ins Blau, die dunkelsten Gedanken wirken jetzt wie die Hellsten, sie erscheinen in tausenden Farben, ich treibe davon)
Sea of Thoughts, B-Seite Eerie Nostalgia, Fotokiller

 

Wie der Roadtrip, äh Boattrip, weitergeht und wer die nächste Folge illustriert, erfährst du mit frischem Soundtrack, wenn es wieder heißt: Hamster und Ratte hören gerne Platte!

Und hier ist, wie versprochen, die Lösung für Hamsters Songzitat.

Songzitat: „(West) Virginia, mountain mama, take me home, country roads“ – Country Roads – orig. John Denver (Poems, Prayers & Promises) / cover Me First & The Gimme Gimmes

Das Album von Fotokiller kaufen kannst du zum Beispiel hier bei Cruise Records.

 

Video: FOTOKILLER – Stop the World

 

 

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CALI – cool | vinyl-keks.eu

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CALI - cool 1

Debutalben sind ja schon immer etwas sehr Besonderes.
Für den Debutanten*in, wie auch für uns Zuhörer*innen. 

CALI ist der Künstlername und steht für Caroline d’Orville, Wahl-Stuttgarterin, und so in Kontakt gekommen mit Julian Knoth, Drummer von Die Nerven
Und er hat ihr nun mit seinem minimalistischen, reduzierten Schlagzeugspiel bei der Verwirklichung des ersten Solo-Albums von CALI geholfen.

„cool“ ist ja schon mal ein Titel, der die Erwartungshaltung bei manchen vielleicht sehr hochschraubt. Da geh ich doch mal rein und horch mal, was da cool sein könnte.
Die Nadel liegt an und los geht es mit „zeit“. Abgehackt, klatsch, ha! ha!, uh!, zack.

die zeit steht still
die zeit steht nie
die zeit steht still

Lyrisch ist das auch etwas, was ich vorwegnehme, sich durchs ganze Album zieht. Das zieht sich auch durch die andern Sprachen, in denen sie singt, nämlich nicht nur deutsch sondern auch italienisch, französisch und englisch, dass sie Sätze nicht zuende formuliert und / oder erst beim zweiten Mal dann komplettiert. Durch ein Verb beispielsweise. Das hat etwas Dada-istisches, man merkt daran aber auch den Spaß an der (deutschen) Sprache: man kann durch kleine Veränderungen in Sätzen eine Stimmung oder gar den Inhalt verändern. Oder aus dem Poetry-Slam? Ist jedenfalls ziemlich schlau und spricht mich an.

ich liege heute und mag mich nicht mehr
ich mag mich nicht mehr hören

CALI hat sich einige weitere Künstler*innen an Bord geholt, um, gekonnt im Songwriting und Timing untergebracht, ihre Musik, die nur aus Bass, Drums und Vocals besteht, aufzufüllen.
Eine Trompete, Chor, Blockflöte, Windrohre, ein Roland SH 1500 (und einiges mehr) komplettieren die Soundwelt. 
Doch eins wird mir in den ersten Songs sehr schnell klar: es wird hier nicht sehr viel mehr geben als einen sehr betonten, nicht unbedingt rythmisch, eher minimalistisch, und klaren Bass. Der ist teilweise sehr locker, dann spielt sie ein New-Wave-Riff, manchmal aber auch etwas härter, fast schon Post-Hardcore.

„strada“ hat eine superschöne Hook und mit der italienischen Sprache wird das, in meinen Ohren, konterkariert, da diese Sprache schon etwas sehr poppiges hat.
Doch insgesamt würde ich sagen CALI ist No-Pop, ist Neue Neue Deutsche Welle, ist sehr vielfältiger Minimalismus.

Auf dem Cover die Künstlerin auf Zehenspitzen stehend in einer zackigen, steinigen Welt, die allerdings einen Horizont hat, an dem ein Vogel auffliegt. 

Schauen wir mal, was CALI in Zukunft musikalisch wie textlich noch zu erzählen hat.
Album gibt es direkt bei ihr:

  

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Goethes Erben – Das Ende ist da / The Arch – Babsi ist tot / Split Single

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Goethes Erben - Das Ende ist da / The Arch - Babsi ist tot / Split Single 1

Es gibt Dinge, die man machen muss und tatsächlich auch, weil man sie machen möchte. Dazu gehört definitiv die Picture Split aus dem Hause Dryland Records von Oswald Henkes Goethes Erben und den Belgiern von The Arch.

 

„Das Ende ist da“ ist eine Neuaufnahme des Klassikers „Das Ende 1989“ in der Henke eine Dystopie beschreibt, von der man seinerzeit nie gedacht hätte, dass diese einmal, zumindest in vielen Ansätzen, von der Realität eingeholt wird. Das dürfte zumindest einer der Gründe sein, warum dieser zeitlose Klassiker von Goethes Erben neu aufgenommen wurde.  Ein weiterer ist jedoch, dass sich beide Bands mit dieser Picture Vinyl auch einen Traum erfüllen wollten, denn in der heutigen Zeit ist es für relativ kleine Szene Acts nicht im Ansatz kostendeckend, Vinyl zu veröffentlichen. Leider ist die Vinylversion von „Das Ende ist da“ an einigen Stellen übersteuert. Vermutlich würde mich Oswald Henke an dieser Stelle mit „Das muss so!“ korrigieren.

 

„Babsi ist tot“ ist ein Szene Klassiker von The Arch aus dem Jahre 1986. Ich weiß nicht, wie oft ich zu diesem Industrial Sound in den 1990er und 00er Jahren auf den Tanzflächen zu finden war. Er ist einer meiner absoluten Lieblingssongs aus diesem Genre, vielleicht noch neben „Not Now, Not Here“ von The Fair Sex und zugegeben, ohne die zweite Seite hätte ich vermutlich nicht die aufgerufenen 18,- Euro für diese beiden Neuaufnahmen bezahlt. Zumindest den Versand habe ich mir gespart, da ich mir die Platte zu einer Veranstaltung von Oswald Henke habe mitbringen lasse. Und damit sind wir wieder bei den Dingen, die man machen möchte und muss. Ich habe die 2024 Version von „Babsi ist tot (Requiem in C minor)“ zunächst digital gehört und wollte danach unbedingt das Vinyl in meinen Händen halten und zudem muss ich diese Zeilen schreiben, damit noch mehr Musikverrückte einfach mal fünfe gerade sein lassen und sich die Platte bei Dryland Records oder direkt bei Oswald Henke bestellen. „Babsi ist tot“ handelt vom Tod von Babette Döge, der besten Freundin von Christiane F. und Halbschwester mütterlicherseits von Roger Cicero, die im Alter von 14 Jahren an einer Heroin-Überdosis starb. Der Song erinnert an ihren Tod und reflektiert über die Tragödie der Drogensucht in Berlin. Babette war zu ihrer Zeit die jüngste Drogentote in Berlin. Das Lied wurde von Christiane F.’s Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ inspiriert. Die 2024er Neuaufnahme geht direkt mit ihrer akkustischen und minimalistischen Version direkt ins Mark und man kann die Trauer und Hilflosigkeit über den sinnlosen Tod von Babsi geradezu spüren. 

Sowohl die erste als auch die zweite Seite haben ein gewisses Grundrauschen, was bei Pictures nicht ungewöhnlich ist, während der Lieder habe ich es jedoch auch nicht wahrgenommen. Es ist keine leichte Kost, die uns da geboten wird, aber das muss es ja auch nicht immer sein. Ich bereue es definitiv nicht, das Geld in diese Platte investiert zu haben. Gönnt euch! Von Herzen!

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Dead Pioneers – po$t american

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Dead Pioneers - po$t american 1

Ist mir tatsächlich eine große Freude, direkt das zweite Album der Dead Pioneers auch besprechen zu dürfen. 
Was für eine fantastische Band, die in dem großen Punk- und Hardcore-Kosmos ein oder zwei Sternchen mit ihren Riffs und Lyrics beschießen und wieder zum Leuchten bringen.

Die Band hatte wohl das erste Album mehr oder weniger „aus der Hüfte“ geschossen – und wer hätte schon mit diesem Erfolg rechnen können. Es war ja auch gleich die Support-Anfrage für Pearl Jam da. 
Ganz so schnell geht es im Musik-Biz dann doch nicht, obgleich sie sich, während eben jenes, selbstbetitelte, Album auf dem Markt war und via Bandcamp ausverkauft wurde, direkt aufmachten ein neues Werk zu veröffentlichen. 
Themen gibt es ja genug, die aufs Papier gebracht werden wollen für einen Native American. 

Es springt mir gleich ein Poster entgegen, in quadratischer Form, die wohl den Schreibtisch des Masterminds und Sängers Greg Deal abgelichtet zeigt; und die Lektüre, die er sich zu Gemüte führte. 
Auf der Innenseite gibt es jede Menge zu lesen: die Lyrics.

„po$t american“ startet mit einem dermaßen direkten Slap ins Gesicht jedes weißen White Supremacy-Schwachkopfs. Deutliche Ansage über Amerika und ihre Einwohner. Und wer heute darum kämpft, dass das Wort „genocide (Völkermord)“ nicht inflationär von amerikanischen Post-Faschisten, oder nennen wir es Regierung, benutzt wird um es zu relativieren: ja, die quasi Ausrottung eines Großteil der Ureinwohner Amerikas ist Völkermord. (Daran beteiligt auch all die europäischen Nationen, die dort Gold geklaut haben).

America so star-spangled awesome
A nice place where the Empire blossoms
Killing Natives, built on slave labor, too
When you bleed you bleed red, white, and blue

Bougie politicians with open hands
Gigantic toddlers with demands
Check notes, what’s the result?
Your people in a fascist cult
(po$t american)

Ihr merkt, die Band, ihre Musik und vor allem der Inhalt der Texte rührt mich, macht mich wütend. Ich denke: endlich spricht es jemand aus und wir schenken ihm Gehör. Das ist gut so! Hört euch das auch an!
Zurück zur Musik: der Song artet dann auch noch in einen etwas noisigeren Part aus, der mir schon auch zeigt, dass die Band sich mehr ins Songwriting gekniet hat. Es stimmt schon, im Gegensatz zur ersten LP ist diese schon nach drei Minuten musikalisch und textlicher griffiger, deutlicher, wütender und eingängiger.

Der Track „my spirit animal ate your spirit animal“, der schon vorveröffentlicht worden war, ist dann an Stelle 3 des Albums.

Irgendwo zwischen Dead Kennedys und No Means No bewegen sich die hart eingängigen Riffs mit dem wirklich guten Drive. 
Es ist und bleibt aber, so drückt Gregg das auch im aktuellen OX-Fanzine-Interview aus, eine Erweiterung seiner künstlerischen Möglichkeiten ist, seine Message weiterzutragen. Er malt und schreibt und macht nun eben auch Musik. 
Und die ist gut!
Es ist natürlich schon etwas seltsam, hier als weißer Mann zu sitzen, sich privilegierten Punkrock auf Vinyl (in verschiedenen Farben) anzuhören und darüber zu schreiben. Aber das Leben ist und bleibt voller Widersprüche. Die Erinnerungskultur, die wir mit den von unseren Vorfahren angezettelten Weltkriegen hier pflegen ist unglaublich wichtig. Ebenso wäre (und ist es) wichtig, für alle die anderen Verbrechen, die „wir“ an unseren Mitmenschen begehen, eine derartige Kultur zu etablieren und zu halten!
Was mir Dead Pioneers also klar vor Augen führen ist, dass die 50 Staaten, die da zusammengehalten werden, leider von einem sehr großen Teil Idioten bevölkert werden die nicht kapieren, wenn man schon von sich behauptet die älteste Demokratie zu sein, dass man auch danach handeln muss. Und Demokratie bedeutet Gleichbehandlung und nicht Segregation. Was Amerikaner in ihrer Geschichte schon leidvoll an Indigenen und Schwarzer Bevölkerung verübt haben. Wenn sie die Indigenen nicht ausgerottet haben, dann haben sie sie eingesperrt in Reservaten. Lassen sie auf dem ihnen gestohlenen Grund ihr eigenes Haus bauen. 
Ja, eine Entschuldigung wäre schon angebracht. Ob das reicht?

„pit song“ ist superkurz und „the caucasity“ haben musikalischen Druck und Letzterer hat so viel Text, dass dieser sicherlich ein Drittel des Lyric-Plakats einnimmt. 
Es geht darum, dass Gregg angesprochen wird. Derjenige haut noch seinen Kumpel an, um ihn ins Boot zu holen, der aber nicht wirklich Bock hat, reingezogen zu werden, was da nun kommt: nämlich der Partner zu sein, der der blöden Frage, die nun an den Indigenen geht, zuzunicken, als sei es von höchstem Interesse, dass man diese Frage klärt. 
Zwei Leute sind ja schon der kleinste Mob, den es gibt. Die Idee der Weißen ist, dass man als Inigener ein Sport-Maskottchen ist oder eben der Antagonist in einem John-Wayne oder Kevin-Costner-Film ist. 

John Wayne wird hier noch als Protagonist eines Films erwähnt, wird er – in Anlehnung an den Song „john wayne was a nazi“ von MDC – in „mythical cowboys“ komplett auseinandergenommen. Ja, ein Cowboy ist eine weiße Mystifizierung.

Im Video findet sich dann auch das komplette Bild, welches auf dem Cover gelandet ist. 

PO$T AMERICAN „drückt eine kollektive Entmüdigung und Desillusionierung des sogenannten „Amerikanischen Traums“ aus. Während wir uns, in der Hoffnung auf eine gewünschte Einheit außerhalb derer bewegen die uns für ihre eigene kapitalistische Machtübernahme benutzen würden.“
Das Ganze wird recht unaufgeregt dargebracht, was aber umso mehr zu einer inneren, nachdenklichen, wütenden Unruhe bei mir führt. 

Komplett 2024 produziert. Kurz vor den Wahlen in Amerika fertig. 
Die Band Dead Pioneers besteht natürlich nicht nur aus Sänger, Künstler und Aktivist Gregg Deal, der auch u.a. Mitglied ist im Permit Lake Paiute Tribe ist. Sondern auch aus den beiden Gitarristen Josh Rivera und Abe Brennan, Drummer Shane Zweygart und Bassist Lee Tesche. Tolle Band, bomben Inhalt.

Erschienen via Hassle Records

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