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Berlin 2.0 – Kaltental | vinyl-keks.eu
Beim Debüt „Scherbenhügel“ der Stuttgarter Berlin 2.0 war ich ehrlich gesagt etwas late to the party. Ich hab die ganzen positiven Besprechungen mitbekommen, aber irgendwie ist es in seiner Gesamtheit als Album an mir vorbeigegangen. Trotzdem sind mir ein paar Songs in meine Bubble gespült worden: düsterer Postpunk mit ordentlich Atmosphäre. Hat mich direkt begeistert, und so war ich ziemlich gespannt aufs neue Album Kaltental.
Leider kommt das Ganze bei mir nicht so an, wie erhofft. Klar, das Grundgerüst scheint gleich geblieben. Punk trifft auf Gothrock, Hardcore trifft auf auf Pop, Härte wechselt sich ab mit ruhigen Wave. Gerade der Bass macht ordentlich Druck, spielt schöne Lines und gefällt mir richtig gut.
Aber trotzdem irgendwie klingt alles zu glatt, zu sauber produziert. Diese Kante, die ich mir erhofft hatte, fehlt. Und ja, der Gesang von Sängerin Elena Wolf geht mir auf die ganze Albumlänge eher auf die Nerven als dass er mich packt.
Textlich bleibt die Band ihrem Kurs treu: sozialkritische, politische und persönliche Themen. Eine Bandbreite, die ein klares Wiedererkennungsmerkmal im Postpunk-Genre ( und in diese große Schublade pack ich sie jetzt einfach mal rein) sind. Das ist natürlich löblich und passt zum düsteren Sound. Für meinen Geschmack wirkt das Ganze aber manchmal etwas zu sehr am Puls der Zeit. Das birgt die Gefahr, dass die Texte schneller altbacken wirken, als der Musik eigentlich guttun würde. Ja, mir ist der Zynismus und die Weltfremdheit bewusst, in „diesen Zeiten“ ausgerechnet an den kritischen Texten einer Band einen Kritikpunkt zu suchen. Aber ich bleibe dabei: Ein bisschen mehr Zeitlosigkeit hätte Kaltental sicher gut gestanden.
Richtig stark finde ich dagegen das Artwork. Johanna von Orléans verfolgt mich gefühlt schon seit meinem Deutsch-LK. Auf dem Cover blickt uns eine futuristisch aufgeladene Jeanne d’Arc entgegen, eine Art Blade Runner-Heldin in Ritterrüstung. Die Fotografin Doris Himmelbauer kombiniert Mittelalterästhetik mit Science-Fiction-Elementen und erschafft so ein Bild, das perfekt zur Stimmung des Albums passt. Es geht um Kampf und Verletzlichkeit, aber auch um Hoffnung und die Vorstellung, dass es eine Alternative zum Status quo geben muss.
„Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?“
Johanna von Orléans ist dabei mehr als nur ein historisches Zitat: Schon als Teenager zog sie im Hundertjährigen Krieg in den Kampf und wurde später als Märtyrerin verehrt. Seit Jahrhunderten dient sie Künstler*innen als Projektionsfläche von Schiller über Shaespeare bis Brecht. Und genausolang müssen sich junge Menschen mit ihr im Deutschunterricht beschäftigen, haha. Dass Berlin 2.0 sie nun in die Zukunft katapultieren, passt aber gut: eine Symbolfigur für Aufbegehren und Veränderung, die auch in Kaltental mitschwingt.
Erschienen ist das zweite Album des Quintetts bei Kidnap Music als schwarzes Vinyl im Gatefold Cover. Texte sind schönerweise abgedruckt. Für Liebhaber`*innen von albernen Formaten gibt es auch eine Kassetten Variante.
Kaltental hat schon coole Lieder und die grundsympathische Art der Band ist auch trotz der Dunkelheit gut zu erkennen. Für mich ist es in ganzer Albumlänge dann doch etwas zu anstrengend vom Gesang und zu glatt von der Produktion. Try it, Geschmackssache halt. Fans von glatter produzierten Postpunk-Sounds könnten durchaus auf ihre Kosten kommen.