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EA80 – ● ● (Stecker)

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Von Sehnsucht, Scherben und Schrammelpunk – eine Liebeserklärung an die letzte echte Band

In einer Welt, in der jede*r alles weiß, posten muss, Meinung hat und Playlist spielt, gibt es sie noch: EA80. Vier Schattenfiguren aus Mönchengladbach, die seit 46 Jahren unbeirrt einen Weg gehen, den keiner so ganz versteht, aber alle fühlen. Keine Promo, keine Interviews, keine Likes – nur Musik. Und was für eine. Mit „Stecker“ erscheint ihr neues Album – still, wütend, melancholisch, sperrig. EA80 eben.

Gegründet 1979 in Mönchengladbach, nannte sich die Band erst Panzerfaust, bevor man ein Jahr später auf EA80 wechselte. Die Band hat sich nie aufgelöst und nur einmal am Bass und am Schlagzeug die Besetzung gewechselt. Auf Merchandise oder offizielles Promotionmaterial wird konsequent verzichtet und die Veröffentlichungen erschienen entweder im Eigenvertrieb oder bei befreundeten Labels.

„Manchmal bin ich glücklich, traurig zu sein.“
EA80 in „Manchmal“

Das sangen EA80 schon 1990 in „Manchmal“. Drei Akkorde, ein Gefühl – das ewige Ziehen in der Brust, das Schwelgen in Vorstellungswelten, das bittersüße Gift namens Sehnsucht. Was der Duden als Krankheit des schmerzlichen Verlangens beschreibt, machen EA80 zur Essenz ihrer Musik. Wer sie hört, fühlt keine Antworten – nur Fragen, keine Pose – nur Haltung.

 

 

EA80: Die antimoderne Moderne

Seit „Definitiv: Ja!“ von 2017 (Nachfolger von „Definitiv: Nein!“) war es still. Doch plötzlich lag „Stecker“ auf dem Merch-Tisch. Kein Stream-Event, kein Teaser, kein Algorithmus. Nur eine neue Platte. Weißes Vinyl, 13 Songs, Pressetext? „Neue LP in weißem Vinyl 13 Lieder Punk.“ Fertig.

Und das reicht.

Denn „Stecker“ ist mehr als ein neues EA80-Album. Es ist eine Mahnung, ein Versprechen, eine Faust im Samthandschuh. Von „Vergoldet bis „Kapitulation“ – jedes Lied ein schwarzes Juwel. Jenseits von Plattitüden, jenseits von Instagram-Zitierbarkeit. Punk, wie er sein soll: unbequem, ehrlich, direkt.

Sound der Stille, Stimme der Verzweiflung

Ansonsten gibt es eine Reihe sehr starker Uptempo-Nummern: „Vergoldet“ erinnert mit seiner rotzfrechen Mischung aus Stomp und Shanty fast an das Frühwerk von Bad Religion, „Ode an das Unentspannte“ ist schlicht und einfach böse, schnell, garstig, düster und kurz – und mehr als einmal hat man Angst, dass der Gitarre bedienende Mensch sich die Fingerkuppen blutig schrammelt.

Es rumpelt, sägt, knödelt, kratzt. „Scherbe“ ist ein verzweifelter Brocken aus Melancholie und Zorn, sechseinhalb Minuten langsam zerfallender Hoffnung. „Abgrund“ lässt dich rücklings fallen: Vorne der Abgrund, hinten kein Glück.

„Radar“ klingt wie der finstere Bruder von Joy Division, während „Ode an das Unentspannte“ in 90 Sekunden ein düsteres Statement in deine Magengrube rammt.

Hidden Champion ist „Die goldene Stadt“, wo Sprechgesang auf treibende Gitarren- und Schlagzeugarbeit trifft. Während in den Strophen schrille Riffs à la Turbostaat ins Ohr schneiden, wagt die Band im Refrain – was man bei EA80 selten hat – Ausflüge in strahlendes Dur. Hoffnung zwischen Ruinen.

Wer hingegen lieber in alten Zeiten schwelgen will, der findet mit dem Titelstück genau das, was er sucht: Alles hängt aschedüster in verzweifeltem Moll, es gibt spannende Wechsel zwischen Ruhephasen mit Solo-Schrammelgitarre und krachledernem Vollgas aller Beteiligten.

Das alles klingt nicht neu, nicht modern.

Aber genau deshalb einzigartig.

 

 

Der Mythos EA80: Nicht von dieser Welt

EA80 sind nicht retro. Sie sind nicht nostalgisch. Sie sind einfach noch da, während andere längst Ironie als Schutzschild tragen. Wer über sie schreiben will, kommt um ihre Abwesenheit nicht herum. Homepage? Vier Buchstaben. Interviews? Fast nie. Instagram? Nein. Spotify? Ja, aber lieber Platte. Sie verstecken sich in der Beethovenstraße 6, wo laut Google Maps die Rollläden dauerhaft unten sind. Legendenstatus per Verweigerung.

Und doch: Die Konzerte sind voll. Die Setlists ähneln sich, sind aber nie gleich. Trashfest wird zerschossen, Vergoldet leuchtet. Die Leute pilgern – aus Stuttgart, Freiburg, egal. EA80 live ist ein Ritual.

Punk ist kein Stil, sondern Haltung

EA80 machen keine Punkmusik, sie sind Punk. Sie diskutieren nicht, sie tun. Keine Ironie, kein Zitat, keine Metaebene. Stattdessen: „Ich liebe das Leben – die Zukunft so golden / Ich traue dem Leben.“ (Vergoldet) Und kurz darauf: „Die Decke zu niedrig, der Fall zu tief.“ (Abgrund)

Das ist keine Widersprüchlichkeit. Das ist das Leben. Punk als Möglichkeitsraum zwischen Hoffnung und Missvergnügen. Kein Klamauk wie WIZO, keine Kunstakrobatik wie Mutter, kein Theater wie Kamerun. EA80 sind geradlinig – aber nie simpel. Ihre Texte: kryptisch, fragmentarisch, poetisch. Ihre Musik: reduziert, aber mächtig. Einmal gehört, bleibt der Nachhall.

„Stecker“: Mehr als Musik

EA80s neues Album ist kein großes Konzeptwerk, keine Revolution. Es ist ein Zustand. Der Sound: rau, trotzig, melancholisch. Die Botschaft: haltet durch. Es ist, als ob sie uns zurufen: „Wir sind noch hier – und ihr könnt es auch sein.“

Wer auf Hochglanz wartet, wird enttäuscht. Wer Sehnsucht kennt, wird belohnt. Denn „Stecker“ ist nicht bequem, aber wahr. Und das ist selten geworden.

EA80 forever

Wie lange es EA80 noch geben wird? Hoffentlich ewig. Oder zumindest so lange, bis sie eines Tages doch verraten, wofür der Name steht. Bis dahin: Stecker rein, Welt aus.

Anspieltipps:

  • Scherbe – dunkler Abgesang mit hypnotischem Refrain
  • Die goldene Stadt – EA80 im Licht
  • Ode an das Unentspannte – kurz, böse, brilliant
  • Vergoldet – Auftakt zum Endzeit-Sommer

Für Fans von: Joy Division, Turbostaat, Melvins, Gefühlen

Vinyl ist für mich nicht nur Musik, sondern ein Erlebnis. Die von mir beschriebenen Alben, habe ich alle ausgepackt, angeschaut und angehört. Gerne auch mehr als ein Mal. Bei den Reviews mache ich mir immer ein eigenes Bild durch entsprechende Recherche und das konzentrierte Anhören. Das ist meine Art den Künstlern entsprechende Wertschätzung für ihre Kreativität und Kunst entgegenzubringen.
So kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens, die Platten in seltenen Fällen vergriffen sind.
Dazu gibt es für mich keine Alternative: über Platten schreiben, in dem man die Pressetexte abschreibt ohne die Platte in den eigenen Händen gehalten zu haben, macht für mich keinen Sinn. Danke für euer Verständnis.

Lagartija Nick.

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