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Gong Wah – The Healing Volume
Gong Wah – The Healing Volume: Zwischen fuzzigem Weltschmerz und sphärischer Hoffnung
Mit „The Healing Volume“ veröffentlichen Gong Wah nicht nur ihr drittes Studioalbum – sie legen ein ebenso düsteres wie leuchtendes Manifest moderner Fuzzwave-Melancholie vor, das sich tief ins emotionale Unterbewusstsein seiner Hörer eingräbt. Was als Quintett begann, ist mittlerweile zu einem konzentrierten Trio (Inga Nelke (lead vocals, synthesizer, harmonica, percussion), Thorsten Dohle (guitar, bass, drums, synthesizer, vocals) und Felix Will (guitar, bass, synthesizer, percussion, vocals)) geschrumpft – aber wer glaubt, dass damit der Sound geschrumpft wäre, wird von Gong Wah auf denkbar stilvolle Weise eines Besseren belehrt. Im bandeigenen Studio aufgenommen, gemischt und gemastert, entstand in absoluter Eigenregie ein Werk, das Tiefe, Textur und Thematik gleichermaßen grandios vereint.
Fuzzwelle trifft Synthflut – Klanglandschaften mit Tiefgang
Schon beim Opener „Smile (Can’t Wait To Live Another Day)“ zeigen Gong Wah, wie man Kontraste in musikalisches Gold verwandelt: Auf wummerndem Bass und verhallten Gitarrenriffs schwebt Inga Nelkes Stimme mit einer Mischung aus heiterer Resignation und trotzigem Lebenshunger. Ein Soundtrack für jene, die ihre Dämonen umarmen und dennoch tanzen wollen.
Die Mischung aus 80er-Jahre-Synthpop, fuzzgeladenen Indie-Gitarren und untergründigem New-Wave-Flair bildet das Fundament für eine Sammlung von zehn Songs, die thematisch um Liebe, Angst, Freundschaft, Suizid und die Sehnsucht nach einer besseren Welt kreisen.
Diese emotionale Bandbreite verpackt Gong Wah in eine ebenso facettenreiche Klangwelt. Songs wie „Savage“ oder „Hallowed Ground“ pulsieren mit einer elektrisierenden Energie, die sich irgendwo zwischen Depeche Mode und The Cure verorten lässt, dabei aber nie in bloßer Nostalgie stecken bleibt. Vielmehr sind es die feinsinnig gesetzten Synths, der fauchende Fuzz der Gitarren und die markanten Bassläufe, die der Musik einen zeitlosen und dennoch gegenwärtigen Charakter verleihen. Es sind Songs, die auf Indie-Club-Tanzflächen genauso zünden wie bei nachdenklichen Spaziergängen im Regen.
Ein besonderes Highlight stellt „Innocent Smile“ dar – ein treibender Track mit Joy-Division-Bass, tanzbarer Wave-Dynamik und einer unvergesslichen Saxofon-Einlage von Felix Miles. Der Moment, in dem sich seine jazzig-verzerrten Holzblastöne in das elektronische Treiben einfügen, wirkt wie ein kurzer Blick ins Überirdische. Eine wundervoll schräge, beinahe sakrale Euphorie durchzieht diesen Song – und verdeutlicht, wie durchdacht und gleichzeitig verspielt Gong Wah ihre Arrangements aufbauen.
Zwischen Folk und Flimmern – leise Töne, große Wirkung
Dass das Trio auch zarte Töne beherrscht, beweist die fast folkig anmutende Single „Emily“. Reduziert auf akustische Gitarren und flüchtige Keyboard-Flächen, wirkt der Song wie eine intime Notiz, in der Nelkes Stimme verletzlich und stark zugleich klingt. Die Melancholie ist greifbar, aber nicht lähmend – vielmehr öffnet sie einen Raum, in dem Schmerz, Zärtlichkeit und Hoffnung koexistieren dürfen.
„Ashes“ ist ein weiteres Beispiel für die emotionale Tiefenschärfe der Platte. Von melancholischem Chorgesang eingeleitet, entwickelt sich die Ballade langsam zu einem Noise-inspirierten Epos, das sich Schicht für Schicht entfaltet, bis es in einem strahlenden Höhepunkt explodiert, nur um dann wieder in sich zusammenzusinken. Diese Dynamik – dieses Spiel mit Spannung und Erlösung – zieht sich durch viele Songs des Albums.
Heilen durch Sound – Freundschaft, Zweifel und elektronische Versöhnung
Gong Wah gelingt das Kunststück, einerseits in düsteren Themen zu wühlen und gleichzeitig immer wieder Momente des Lichts zu erzeugen. „The Healing Volume“ ist also nicht nur ein Titel, sondern ein Versprechen. Songs wie „We Are Friends“ oder der finale Track „Paranoia, Friends“ wirken wie seelische Flickenteppiche: zusammengefügt aus Fragmenten von Zweifeln, Trost, Entfremdung und dem Wunsch nach Nähe. Gerade „Paranoia, Friends“ schließt das Album mit einem bittersüßen Gefühl ab – schwermütig, aber nicht erdrückend; melancholisch, aber offen für Versöhnung.
Die Stimme von Inga Nelke ist dabei das emotionale Zentrum des Albums. Wandlungsfähig und eindringlich führt sie durch die unterschiedlichen Atmosphären – mal trotzig, mal sehnsüchtig, mal fast flüsternd. Ihre Präsenz erinnert nicht selten an Shirley Manson oder Siouxsie Sioux, bleibt dabei aber eigenständig und nahbar. In Verbindung mit dem grandiosen Songwriting entsteht eine fast schon cineastische Dichte, die das Album wie einen Soundtrack eines Films wirken lässt, den man immer wieder sehen – beziehungsweise hören – will.
Wo Noise auf Nostalgie trifft – ein Klang, der bleibt
Gong Wah zeigen auf „The Healing Volume“, dass sie zu den wenigen Bands gehören, die musikalische Gegensätze nicht nur aushalten, sondern meisterlich zusammenführen. Zwischen schwebendem Wave, donnerndem Fuzzrock und subtilen Akustikmomenten entsteht ein spannungsgeladenes Mosaik, das nie beliebig oder überladen wirkt. Jeder Song erzählt eine eigene Geschichte, und doch fügen sich alle zu einem kohärenten Ganzen zusammen, das lange nachhallt.
Ein Soundtrack zum Überleben – düster, ehrlich, wunderschön
Fazit: „The Healing Volume“ ist ein eindrucksvolles Album voller Ambivalenzen, ein Kunstwerk zwischen Zärtlichkeit und Aufruhr, Rückzug und Tanzbarkeit. Wer mit Bands wie U2, The Cure, Garbage oder Joy Division groß geworden ist, findet hier eine moderne, eigenständige Antwort auf alte Sehnsüchte.
Gong Wah liefern keinen Eskapismus, sondern emotionale Ehrlichkeit mit musikalischer Raffinesse – und laden dazu ein, sich in ihrem klanglichen Kosmos zu verlieren. Die vielleicht schönste Erkenntnis: Trotz aller Schwermut glaubt man ihnen, dass am Ende alles gut werden könnte. Oder wie es im Rheinland heißt: Et hätt noch emmer joot jejange. Und mit Gong Wah in den Kopfhörern glaubt man das sogar noch ein bisschen mehr!
Live Daten:
06.06.2025: Köln_Odonien_Club
08.08.2025: Köln_Die Kantine_Open Air
09.10.2025: Köln_EDP_Open Air
Vinyl ist für mich nicht nur Musik, sondern ein Erlebnis. Die von mir beschriebenen Alben, habe ich alle ausgepackt, angeschaut und angehört. Gerne auch mehr als ein Mal. Bei den Reviews mache ich mir immer ein eigenes Bild durch entsprechende Recherche und das konzentrierte Anhören. Das ist meine Art den Künstlern entsprechende Wertschätzung für ihre Kreativität und Kunst entgegenzubringen.
So kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens, die Platten in seltenen Fällen vergriffen sind.
Dazu gibt es für mich keine Alternative: über Platten schreiben, in dem man die Pressetexte abschreibt ohne die Platte in den eigenen Händen gehalten zu haben, macht für mich keinen Sinn. Danke für euer Verständnis.
Lagartija Nick.