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Legende Lienen lobt St. Pauli – und verrät, was er „lächerlich“ findet

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Ruhestand? Dieser Begriff kommt nicht vor im reichhaltigen Wortschatz von Ewald Lienen, und einen solchen Zustand der Ruhe wird es mit der Wahrscheinlichkeit eines nordkoreanischen Wahlergebnisses auch niemals geben in seinem Leben. Der 71-Jährige mag nicht mehr mittendrin sein im Fußball als Trainer oder Funktionär, aber er ist noch voll dabei und im Thema. Engagiert, interessiert, leidenschaftlich, kritisch, meinungsstark. Lienen halt. Zwischen vielen Terminen fand er Zeit, mit der MOPO zu sprechen. Nicht nur über das anstehende Duell seiner beiden Ex- und Herzensvereine FC St. Pauli und Borussia Mönchengladbach, bei denen er Legendenstatus genießt, sondern auch über die Rolle und Perspektiven des Kiezklubs, Missstände in der Bundesliga und im internationalen Fußball und darüber, was ihn nervt und was er „lächerlich“ findet.

Er wäre gerne dabei gewesen, vor Ort, im Stadion, Millerntor. Schafft er nicht. Zu viel um die Ohren, sagt Lienen, kannste Dir nicht vorstellen. Aber natürlich werde er sich das Spiel am Samstag live im Fernsehen anschauen – auf dem heimischen Sofa im Ort Schloß Holte, Ostwestfalen, wo er herkommt und seit 2023 mit seiner Frau Rosa wieder wohnt. „Das lasse ich mir doch nicht entgehen!“

Mit der Borussia feierte Lienen als pfeilschneller Linksaußen – Markenzeichen: wilde Mähne – seine größten Erfolge als Spieler, war dort später Coach. St. Pauli war seine letzte von 13 Stationen als Trainer und es passte auch über den Fußball hinaus wie die Faust aufs Auge.

Ewald Lienen: „St. Pauli-Klassenerhalt war absolut verdient“

Ein Auge hat er deshalb immer noch auf den Kiezklub, der zum Kreis seiner Herzensvereine gehört. „Ich verfolge weiterhin interessiert und mit viel Sympathie, was bei St. Pauli passiert, und schaue, wenn es meine Zeit zulässt, auch immer wieder Spiele. Das gilt auch für andere meiner früheren Vereine wie zum Beispiel Mönchengladbach“, erzählt Lienen, der für die Braun-Weißen sieben Jahre lang und bis 2022 in verschiedenen Funktionen tätig war. „Ich freue mich, dass St. Pauli in der Bundesliga spielt und das erste Jahr gut bewältigt hat. Der Klassenerhalt war absolut verdient.“



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Die aktuelle Krise der Kiezkicker mit fünf Liga-Niederlagen in Serie verwundert Lienen, der die Bundesliga intensiv verfolgt und im Podcast „Sechzehner“ oder als TV-Experte kommentiert und analysiert, nur bedingt. „Dass es nicht reibungslos so weitergeht, ist für mich keine Überraschung. Das zweite Jahr nach einem Aufstieg ist oft schwieriger als das erste.“

Kluge Ratschläge nach Ferndiagnose will er nicht geben, aber die Probleme sind offensichtlich. Wichtig sei, „die defensive Stabilität wieder hinzukriegen, die die Mannschaft in der vergangenen Saison ausgezeichnet hat, damit auch mal wieder ein Tor reicht, um ein Spiel zu gewinnen oder zumindest einen Punkt zu holen“, weiß Lienen. „Mönchengladbach hat das gleich Problem: Sie kassieren zu viele Tore.“

Die Neuzugänge überzeugen Ex-Kiezklub-Trainer Lienen

An der Qualität der Kiezkicker zweifelt Lienen nicht, im Gegenteil. „Wie sie in den ersten Saisonspielen gespielt haben, hat mir gut gefallen. Wie der Ball gelaufen ist, wie sie hinten rausgespielt haben, war außergewöhnlich gut. Das hat mich regelrecht begeistert“, schwärmt der Kult-Coach. Dabei habe auch Neuzugang Joel Chima Fujita „eine große Rolle gespielt“.

St. Pauli-Neuzugang Louis Oppie gefällt Ewald Lienen besonders.
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St. Pauli-Neuzugang Louis Oppie gefällt Ewald Lienen besonders.

Besonders im Blick hat Lienen auch Louis Oppie, der vergangene Saison noch für Drittligist Bielefeld gespielt hat. Lienen war regelmäßig Gast im Stadion. „Von der 3. in die 1. Liga ist es natürlich ein Sprung. Ich finde, dass Oppie es ganz gut macht bislang.“

Bundesliga ist laut Lienen eine „Drei-Klassen-Gesellschaft“

Die Bundesliga ist eine enorme Herausforderung, auch für den gesamten Kiezklub, der sich behaupten muss in einem knallharten Wettbewerb. „Die finanziellen Unterschiede werden immer größer, die Bundesliga ist mittlerweile eine Drei-Klassen-Gesellschaft“, sagt Lienen. „Vereine wie St. Pauli haben es immer schwerer, werden aber gleichzeitig immer wichtiger in einem Profifußball, der sich mehr und mehr zu einem reinen Geschäft entwickelt.“

Lienen sieht den Kiezklub genau deshalb in einer besonderen Rolle. „St. Pauli ist für mich ein Leuchtturm in der Bundesliga, weil der Verein für Werte steht, für gesellschaftspolitisches Engagement, seine soziale Verantwortung wahrnimmt und mit der Genossenschaft sehr erfolgreich ein alternatives Finanzierungsmodell an den Start gebracht hat, das viele Menschen involviert und es zu einem Gemeinschaftsprojekt macht“, sagt der selbsternannte Fußball-Rebell. Das sorge für große „Identifikationskraft“ und bedeute „auch ein Stückweit Freiheit gegenüber den Abhängigkeiten der gängigen Investorenmodelle“. Lienen, der als Überzeugungstäter selbst Anteile erworben hat, hofft, „dass sich mehr Vereine in Deutschland anschließen und die Chance einer Genossenschaft erkennen. St. Pauli zeigt: Es gibt einen anderen Weg“.

Lienen ist in Sorge: „Die Gier kennt keine Grenzen“

Auf dem falschen Weg sieht er die Branche insgesamt. Das bereitet ihm Sorgen, wühlt ihn auf, macht ihn auch wütend. „Als Fußball-Liebhaber und Fans verlieren wir die Hoheit über das, was wir lieben: das Spiel. Fußball wird zum Produkt gemacht.“ Zur Ware, die Fans zu Konsumenten. „Es geht nur noch um mehr, mehr, mehr. Die Gier kennt keine Grenzen.“

Harte Zeit: Auch als Gladbach-Trainer war Lienen kurz tätig, von März bis September 2003.

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Harte Zeit: Auch als Gladbach-Trainer war Lienen kurz tätig, von März bis September 2003.

Treiber der Fehlentwicklung sei das Mutterland des Fußballs. „Ich weigere mich mittlerweile, Spiele der Premier League anzuschauen. Mich nervt die Konzentration von Kapital von Leuten, die gar nichts mit Fußball am Hut haben, sondern ihn als Business betrachten“, kritisiert Lienen. „Investoren aus den USA, aus Abu Dhabi oder sonst woher – es ist eine Geld-Liga. Ihre Sogwirkung macht den Fußball kaputt.“

Das bedroht auch den deutschen Fußball, warnt Lienen. „Die besten Spieler der Bundesliga werden gnadenlos abgeschöpft, oftmals nach nur einer guten Saison.“ Der Aderlass sei enorm. Die strukturelle Folge: „Die deutschen Vereine haben es immer schwerer, längerfristig etwas aufzubauen. Das wird sich im internationalen Wettbewerb noch deutlicher zeigen in den kommenden Jahren.“

Lienen vermisst Fairness und Vorbildfunktion im Fußball

In Rage reden kann sich Lienen auch über eine Unsitte, die sich auf dem Spielfeld ausbreitet. „Es werden immer häufiger Fouls gefakt. Das regt mich auf“, wettert er. „Da schreien Spieler, als wenn sie ermordet werden, oder halten sich Körperteile, die gar nicht getroffen worden sind. Das ist manchmal wirklich lächerlich. Wo bleiben die Fairness und die Vorbildfunktion? Es geht oft nur noch um den eigenen Vorteil. Da ist fast jedes Mittel recht. Aber das ist ja leider generell die Entwicklung in der Gesellschaft.“

Worte, die einmal mehr zeigen, dass Lienen auch beim Thema Fußball weit über den Tellerrand schaut. Für seine Aktivitäten gilt das ebenso. Er ist nicht nur als TV-Experte und Podcaster am Ball, er hält auch Vorträge über Führung, Kommunikation und Motivation und ist seit fünf Jahren Klimabotschafter im Kreis Lippe mit vielen Terminen. Echtes Engagement. Und nicht zuletzt ist da ja auch noch seine Familie, Frau Rosa, seine beiden Kinder und drei Enkelkinder.

Auftritt in der Markthalle mit eigenem Bühnenprogramm

Für eine Visite am Millerntor bleibt da wenig Zeit, was er bedauert, auch weil er immer wieder von St. Pauli eingeladen wird. Sein nächster Hamburg-Besuch ist dagegen schon fest terminiert. Am 13. April tritt Lienen mit seinem Bühnenprogramm in der Markthalle auf, Titel: „Fußball und wie das Leben so spielt“.

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Lienen wünscht sich, dass er in den kommenden Jahren noch einige Gelegenheiten für einen erstklassigen Stadionbesuch auf dem Kiez haben wird. „Ich hoffe, dass St. Pauli die Kurve bekommt, und würde mich sehr freuen, wenn sich der Verein ein weiteres Mal in der Bundesliga halten kann und belohnt wird für den eigenen Weg.“

Legende Lienen lobt St. Pauli – und verrät, was er „lächerlich“ findet wurde gefunden bei mopo.de

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