Entertainment
No Sugar – Last Call
Es gibt Platten für gewisse Momente und es gibt gewisse Momente für Platten. Erkenntnis heute: der sonntägliche Frühstückstisch ist nicht der richtige Moment für No Sugar und deren Album „Last Call“. Zu viel Tohuwabohu, um sich auf den garagigen Punkrock der Hamburger*Innen zu konzentrieren. Zum im Hintergrund dümpeln taugt die Platte zwar schon, aber es wird ihr halt einfach nicht gerecht. Sie hat nämlich definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient.
Und als sich die Aufregung dann etwas gelegt hat und ich die Zeit für „Last Call“ finde, beschleicht mich als erstes ein zugegebenermaßen recht dummer Gedanke. Hamburg ist doch recht nah an Schweden. Hamburg wird mittlerweile als offizieller Standort der 2017 gegründeten No Sugar genannt, Schweden ist die Heimat jeder Menge rock’n’rolliger Bands. Dumm ist mein Gedanke, weil aus vermeintlicher geographischer Nähe und musikalischer Ähnlichkeit nicht zwangsweise ein Zusammenhang abgeleitet werden kann. Und außerdem ist die Hansestadt auch nur für so ’ne Südfrucht wie mich den Elchen nahe.
Wie dem auch sei, höre ich mir „Last Call“ an, muss ich instant an ganz viele Bands aus ganz weit oben denken. Sons Of Cyrus, Terrible Feelings, The Hives, Randy,… um nur einige zu nennen. Und dass ich da wie aus der Pistole geschossen gleich an ganz vieles denken muss, impliziert, dass es auch ganz vieles gibt. Das wiederum könnte zum Problem für No Sugar werden, denn ich habe die Befürchtung, die Band wird nicht unbedingt aus der breiten Masse an Punkrockbands hervorstechen, da sie zwar sehr gut, aber dennoch nicht exquisit genug klingt. Last but not least, in der Masse versinken, das wäre sehr schade.
Lasst mich also in diesem Review alles dafür tun, dass No Sugar bei unseren Leser*Innen nicht unter dem Radar bleiben. Den Rest muss dann die durchaus feine Auswahl an verantwortlichen Labels richten, als da wären: Sabotage Records aus Bremen, Ladies & Ladys Label aus Lünen und La Agonia De Vivir aus Madrid. Die könnten das Kind schon schaukeln, ich helf‘ mal mit so gut es geht.
Woher also dieser oben angesprochene, dubiose Elch-Test? Nun, der Sound halt. Diese schrabbeligen, aufgeregten Gitarren mit dem Twäng. Die kennt man eben u.a. von den genannten Bands. Sind garantiert Fender-Klampfen, maximal ’ne Les Paul Junior, aber mit Twin Reverb im Rücken. Das hat Charme und das macht solche Bands eben gut, aber es ist eben gerade im (Garage-)Punkbereich schon lange etabliert und somit nichts Besonderes mehr. Kurz lassen mich No Sugar aber dennoch verwundert aufhorchen. Das Solo in „Burn Both Ends“ hat einen doch recht unerwarteten Social Distortion-Touch. So ein Solo, das die ausübende Person breitbeinig dastehen lässt, ohne aber die ganz große Gitarrenkunst zu sein. Punk eben und somit passend.
Ein Solo, das frei nach Olli Kahn mit „Wir brauchen Eier“ betitelt werden kann. Genau die brauchen aber No Sugar nicht. Ganz im Gegenteil, wird die Band auf „Last Call“ nicht müde, neben der Abhandlung anderer sozialer und politischer Themen, sich gegen Machotum und ’ne Nummer kleiner, gegen das immer noch vorherrschende Rollenmodell bezüglich Mann und Frau zu positionieren. Kein Zucker, Baby! No Sugar brauchen keinen starken Mann, noch nicht mal Händchen halten. „Witch, whore, slut, bore. Not the princess you were looking for. Waiting at your door. Baby, I’m just the bride of the night. …“ („Bride Of The Night“). Deutlich und in bester Rock’n’Roll-Manier sagen euch No Sugar, wo der Bär in den Weizen scheißt. Herrlich!
Zum Schluss dann noch ein weiterer kleiner Ausreißer. Die Banjo-Nummer „No Song“ mit Unterstützung von Konstanze Habermann am Banjo und am Gesang, erzeugt formal gesehen eine Art versöhnliche Lagerfeuerromantik, ist in ihrer Aussage aber mehr als deutlich. Nein heißt Nein, basta!
Ich hoffe, ich konnte euch überzeugen, mindestens aber neugierig machen. No Sugar haben jedenfalls eure Aufmerksamkeit verdient. Schaut also bei Sabotage Records oder Ladies & Ladys Label nach eurem Exemplar.