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SCRAPS – On the Edge of the Abyss

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Scraps – On the Edge of the Abyss
Vier Jahrzehnte Wut – und kein bisschen leiser


Zurück aus dem Abgrund – und direkt ins Gesicht

Es gibt Comebacks – und es gibt Manifestationen. „On the Edge of the Abyss“, das neue Album der französischen Anarcho-Hardcore-Institution Scraps, gehört ganz klar zur zweiten Kategorie. Fast drei Jahrzehnte nach ihrem letzten Studioalbum und pünktlich zum 40-jährigen Bandjubiläum kehren die Veteranen des politischen Hardcore mit einer Platte zurück, die nichts beschönigt und eine Feuersbrunst auslöst.

Dass Scraps seit den frühen 1980ern aktiv sind, hört man der Platte an – aber nicht im Sinne von Alterserscheinungen, sondern in der Form einer unbändigen Reife, die aus vier Jahrzehnten radikaler DIY-Erfahrung gewachsen ist. Diese Band hat nie aufgehört, unbequem zu sein, und wer dachte, die würden sich nach all den Jahren mit einem weichgespülten Altherren-Sound zufriedengeben, hat sich mächtig geschnitten.


Alter Spirit, neue Wut

„On the Edge of the Abyss“ enthält 13 kompromisslose Hardcore-Attacken, die alles liefern, was man von Scraps erwarten darf – und doch nach vorne gehen, statt sich in Nostalgie zu verlieren. Der Sound erinnert an die rohe Energie der späten 1980er und frühen 1990er, wie man sie von ihren Klassikern kennt, aber wirkt seltsam zeitgemäß, fast beängstigend aktuell.

Das treibende Schlagzeug gibt den Takt vor, die Gitarren fügen sich messerscharf drüber und reißen alles mit sich, während die markante Stimme des Sängers wie ein roher Nervenstrang durch jeden Song zieht. Er ist ohne Frage das stimmliche Zentrum dieser Platte – mit hoher, emotional aufgeladener Stimme schreit er dem Hörer die vorwiegend politischen Inhalte direkt ins Gesicht: Patriarchat, Nationalstaaten, Grenzen, Migration, Solidarität – alles wird aufgerissen, alles wird in Frage gestellt.

Und als wäre das nicht genug, erlaubt sich die Band inmitten der Raserei auch geschickte Tempowechsel: kurze Midtempo-Passagen, Breaks, sogar Momente beinahe völliger Reduktion – genau richtig platziert, um die Spannung hochzuhalten und dem Album Luft zum Atmen zu geben, ohne an Druck zu verlieren.


Drei Originale und ein frischer Taktgeber

Dass Scraps heute noch so explosiv klingen, liegt auch an der Besetzung: Drei Mitglieder der Urformation sind noch dabei, ergänzt durch Michael (Plague Thirteen und Link) an den Drums – ein Neuzugang, der den Sound tight hält, ohne den rauen Charakter der Band zu verwässern. Seine Drums sind präzise, aber ungehobelt – genau wie es sein muss.

Besonders hervorzuheben ist der Bass, der in fast jedem Song ganz vorne mitspielt. Statt sich mit der klassischen Hintergrundrolle zu begnügen, drückt er die Songs nach vorne, verleiht ihnen Wucht und Tiefgang. Über allem schweben Gangshouts, die sich wie Schlachtrufe durch die Tracks ziehen – immer im Kollektiv, nie als Einzelstimme. Das ist nicht Pose! Das ist Hardcore als Gemeinschaft!

 

 


Kein Rückblick – ein Aufschrei in der Gegenwart

Die Songs auf „On the Edge of the Abyss“ atmen Geschichte – aber sie sind kein Museum. Scraps klingen heute ebenso wach und wütend wie in ihren Anfangstagen. Die Themen sind universell: Macht, Unterdrückung, Überwachung, Ohnmacht, Widerstand. Der Unterschied: Heute sind sie vielleicht sogar noch relevanter.

Der Albumtitel ist Programm. Wir stehen am Abgrund – gesellschaftlich, politisch, ökologisch. Scraps schreien nicht gegen die Dunkelheit an, sie gehen mit Fackeln rein. Sie bieten keinen Ausweg, aber einen Soundtrack für alle, die nicht resignieren wollen.


Kein Denkmal, sondern eine Waffe!

Die Band hat sich eindeutig nicht auf vergangene Verdienste verlassen. Die Stücke sind schnell, wütend und kantig, mit politischen Lyrics, die mehr fragen, anklagen und aufrütteln als jemals zuvor. In Zeiten von Pandemie, autoritären Tendenzen und globalem Kontrollverlust klingt dieses Album wie ein Soundtrack zum globalen Nervenzusammenbruch – aber aus der Sicht derer, die sich nicht unterkriegen lassen.

„On the Edge of the Abyss“ ist keine nostalgische Rückkehr, sondern ein lautes, schneidendes: Wir sind noch hier. Für alle, die Hardcore nicht als Mode, sondern als Haltung verstehen, ist dieses Album ein Muss. Keine Spielerei, kein Selbstmitleid, keine Kompromisse – einfach 100 % Scraps.

Ob du in den 1980ern dabei warst oder gerade erst deinen ersten DIY-Gig besucht hast: Dieses Album spricht zu dir.

Direkt.

Laut.

Und ehrlich.

Vinyl ist für mich nicht nur Musik, sondern ein Erlebnis. Die von mir beschriebenen Alben, habe ich alle ausgepackt, angeschaut und angehört. Gerne auch mehr als ein Mal. Bei den Reviews mache ich mir immer ein eigenes Bild durch entsprechende Recherche und das konzentrierte Anhören. Das ist meine Art den Künstlern entsprechende Wertschätzung für ihre Kreativität und Kunst entgegenzubringen.
So kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens, die Platten in seltenen Fällen vergriffen sind.
Dazu gibt es für mich keine Alternative: über Platten schreiben, in dem man die Pressetexte abschreibt ohne die Platte in den eigenen Händen gehalten zu haben, macht für mich keinen Sinn. Danke für euer Verständnis.

Lagartija Nick.

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