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Split Chain – Motionblur | vinyl-keks.eu
Anfang der ’90er auf einem Provinzgymnasium. Es mag in etwa rund zwei Jahre gebraucht haben, ehe der Schock beim kleinen Riedinger (ich komme aus einer katholischen Familie) über die durchgestrichenen Kruzifixe auf den Shirts der Oberstufler einer gewissen Neugier gewichen ist. Recht schnell war dann aber klar, das war mein Sound, mit ihm begann meine kleine Privatrevolution in den heimischen Wänden und Epitaph Records schien der passende Molotowcocktail dazu zu sein. Alles was Epitaph damals raus brachte war Punk und Punk war Epitaph, die Compilation-Reihe „Punk-O-Rama“ so was wie die Grundausstattung.
Später dann hat sich das Label geöffnet, vielleicht auch verändert. Es war nicht mehr alles Punk, was glänzte und so landeten allerlei Genres auf dem Label von Brett Gurewitz. Kommerz und Ausverkauf schrien die einen, Innovation die anderen. Mir war’s egal, hatte ich inzwischen meine eigenen musikalischen Grenzen eh schon geöffnet.
Jetzt veröffentlichte das Label jüngst das Debütalbum „Motionblur“ der erst 2023 gegründeten Band Split Chain aus Bristol. Und allerspätestens jetzt ist klar, Epitaph scheint tatsächlich keine Grenzen mehr zu kennen. Ich sage das weiterhin ohne Wertung und irgendwie sind wir mit „Motionblur“ auch wieder zurück in den ’90ern. Allerdings in den anderen.
Etwas naiv dachte ich, das Genre sei inzwischen eingemottet, bzw. wird halt noch von den immer noch aktiven Dinos betrieben. Split Chain spielen hier (fast) lupenreinen Nu Metal, so mein Eindruck nach den ersten zwei Songs „Under The Wire“ und „Bored. Tired. Torn.“. Dabei pendeln sie sich dank ihrer Brachialität bei gleichzeitiger Emotion und Atmosphäre irgendwo im Mittelfeld zwischen Korn (auch wenn der Sound nicht so knarzig ist) und den Deftones ein.
Krass, dass sich das 2025 noch wer traut! Dabei – und sind wir doch mal ehrlich – hören selbst Leute, die den Sound damals schon aus Metalnostalgie oder sonstigen Gründen verpönt haben, auch heute noch heimlich und ab und an in „Life Is Peachy“ und Co rein. Und der Herr Gurewitz, nun, der ist inzwischen mehr als lange genug dabei, um zu wissen, was er den Leuten andrehen kann und was nicht. Von Split Chain scheint er sich trotz vermeintlich aus der Mode gekommenem Sound zurecht einen gewissen Erfolg zu erhoffen.
So. Nach all dem Gelaber sind wir im Album auch schon weiter vorangeschritten und eben dieses scheint in sich selbst eine seltsame Wandlung zu vollziehen. Post-Hardcore und geradezu epische Momente bauschen sich da in Songs wie z.B. „The Space In Between“ auf. Bis hin zum finalen „My Mistake“, das mit seinem Titel und den kurzen, aber prägnanten Lyrics nicht weiter erklärt werden muss. Ein ausufernder Moloch aus Bitterkeit, Wut über sich selbst, Trauer und Selbstzweifeln tut sich da auf, der La Dispute, Joy Division, weiterhin die Deftones, Tool, die Stone Temple Pilots und Nine Inch Nails unter einen Hut bringt. Spätestens jetzt ist auch klar, warum Split Chain auch mit dem Genrebegriff „Shoegaze“ in Verbindung gebracht werden.
Und dann nochmal so ein ’90er-Ding: selbst auf Vinyl packen Split Chain ’nen Hiddentrack mit drauf. Zum Abschluß gibt’s eins à la Comeback Kid auf die Kauleiste. Geil! In dieser Form traue ich den Senkrechtstartern durchaus zu, eine Art Nu Metal-Revival anzuleiern.
Das Album ist nicht nur für Nostalgiker*Innen und Heimlichhörer*Innen geeignet, sondern darf ruhig laut aufgedreht werden. Zu diesem Zweck könnt ihr es euch z.B. bei jpc auf schwarzem, oder limitiert auch auf türkisem Vinyl holen.