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Warum eine Referendarin Zweifel am System hat
Kiel. Es gibt Tage, da gerät Rebecca Martin ins Zweifeln, ob sie als angehende Lehrerin den richtigen Beruf gewählt hat. „Man möchte immer so viel für die Kinder und ihre Entwicklung erreichen“, sagt sie. Doch inzwischen sei die Euphorie der Anfangszeit einer Ernüchterung gewichen. „Das Schulsystem scheint uns in keiner Weise wertzuschätzen.“
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Die junge Frau ist in den Dreißigern und arbeitet als Referendarin an einer Gemeinschaftsschule im Raum Kiel. Im Gespräch mit den Kieler Nachrichten will sie einerseits so frei wie möglich sprechen, andererseits als Beamtin auf Widerruf ihre Karriere nicht aufs Spiel setzen – deshalb haben wir ihren Namen geändert.
Referendariat im Schuldienst dauert 18 Monate
Jeweils zu Beginn eines jeden Schulhalbjahrs startet ein neuer Ausbildungsjahrgang in die 18-monatige Ausbildung. Rebecca Martin ist eine von derzeit 1752 Referendaren an allgemeinbildenden Schulen im Norden. Nach einer zentralen Einführungswoche für jede Schulart beginnt der Dienst im Klassenzimmer mit durchschnittlich zehn Unterrichtsstunden – fachlich begleitet durch das Kollegium und das Lehrerausbildungsinstitut IQSH, das jeweils mittwochs Ausbildungsveranstaltungen ausrichtet, unter anderem in Pädagogik.
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Rebecca Martin hatte als verheiratete Frau Glück: Referendaren wird jeweils eine Ausbildungsstelle an einer Schule angeboten, und sie durfte in Kiel bleiben. Man achte auf Familienfreundlichkeit, heißt es aus dem Ministerium. Die Zuteilung erfolge im Übrigen „gemäß der Kapazitätsverordnung nach festgelegten Kriterien“.
Zuschläge auch für Schulen im Kreis Segeberg
In Regionen, die „als weniger attraktiv wahrgenommen“ würden, zahle das Land zudem einen Anwärtersonderzuschlag von monatlich 250 Euro. Ende März lief für den kommenden Referendarsjahrgang im Winterschulhalbjahr 2025/26 das Bewerbungsverfahren aus, Einstellungstermin ist der 1. August. Zuschläge gibt es demnach für insgesamt mehr als 100 Schulen in Nordfriesland, Dithmarschen, Steinburg und dem Herzogtum Lauenburg, aber auch für Neumünster (Sonderpädagogik) und Regionen in den Kreisen Segeberg und Pinneberg.
Doch was kommt nach erfolgreicher Ausbildung? Die Chance, einen Job an der gewünschten Schule oder zumindest in der bevorzugten Region zu erhalten, sei je nach Region und Fächerkombination „sehr unterschiedlich“, heißt es im Ministerium. Wer unbedingt in der Nähe seines Studienortes Kiel oder Flensburg bleiben wolle, habe mit dem im Februar gestarteten Verfahren „Abordnung Plus“ die deutlich besseren Karten. Dahinter steckt ein Deal: Berufseinsteiger, die zumindest in absehbarer Zeit an einer von derzeit rund 90 stark begehrten Schule unterrichten wollen, können sich für drei Jahre zum Dienst in einer Region mit Lehrermangel verpflichten – in den erwähnten Kreisen. Also alles easy?
Referendarin: „Wie soll man das machen?“
„Dieses System geht davon aus, dass jede Lehrkraft im Vorbereitungsdienst ungebunden, Mitte 20 und ohne Kinder oder Kinderwunsch, ohne zu pflegende Personen oder ohne Haustiere im Leben steht“, stellt Rebecca Martin fest. „Das mag für einige Personen zutreffen, die bereit sind, umzuziehen oder jeden Morgen eineinhalb Stunden zur Arbeit zu fahren.“ Für sie selbst komme das jedenfalls nicht infrage. „Ich will keine Wochenend-Ehe führen.“ Zudem habe etwa ein Viertel der Kolleginnen und Kollegen ihres Referendarsjahrgangs bereits Kinder. „Wie soll man das also machen, wenn auch der Partner arbeitet?“
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Laut Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion waren im neuen Verteilungssystem „Abordnung Plus“ zuletzt 54 Stellen ausgeschrieben, es gab ebenso viele Bewerbungen – allerdings nur auf 27 Stellen, der Rest blieb ein Ladenhüter. Eine Nachwuchskraft bemühte sich zum Beispiel um eine Planstelle an der Grundschule Schilksee unter der Bedingung, sich für drei Jahre an die Klaus-Groth-Schule nach Heide abordnen zu lassen. Gleich fünf Anwärter interessierten sich für eine feste Stelle an der Gemeinschaftsschule Altenholz und erklärten sich bereit, im Gegenzug drei Jahre nach Schenefeld an die Gemeinschaftsschule Achter de Weiden zu gehen.
Bildungsministerin Prien wertet „Abordnung Plus“ als Erfolg
SPD-Mann Martin Habersaat spricht angesichts dieser Zahlen von einem holprigen Start. „Es braucht ein Mindestmaß von Entscheidungsspielraum für die Nachwuchslehrkräfte und pragmatische Lösungen für die Vertretung der dreijährigen Abordnung.“ Bildungsministerin Karin Prien (CDU) will diese Kritik nicht unwidersprochen stehen lassen. „Abordnung Plus ist ein Erfolg, weil es ein weiterer Baustein unserer Strategie zur Lehrkräftegewinnung in Mangelregionen ist und wir dadurch bisher schon 13 Personen einstellen konnten.“ Im Übrigen lasse sich der Bedarf nicht mit einer einzigen Maßnahme steuern.
Rebecca Martin berichtet davon, dass das Land angehenden Lehrern nahelegt, sich doch an Brennpunktschulen zu bewerben. Diese sind vom Verfahren „Abordnung Plus“ grundsätzlich ausgenommen. „Die Anzahl dieser Schulen ist aber stark begrenzt, und eventuell kommt auch nicht jede Person mit einer derart heterogenen Schülerschaft auf Dauer klar.“ Was bei ihr zurückbleibe, seien Zweifel am obersten Dienstherrn. Auch wenn das Ministerium stets betone, dass gute Leistungen belohnt würden: „Ist es die Hauptsache, dass wir in unserer Ortswahl flexibel sind?“
KN